WARUM DER FREIE WILLE BEI DER PERSÖNLICHEN ABLEHNUNG EINER BETREUENDEN PERSON RESPEKTIERT WERDEN MUSS
15.06.2024 – (Aktuelle Rechtsprechung)
Wenn die Entscheidung einer Betroffenen gegen die Bestellung eines anderen als der von ihr gewünschten betreuenden Person auf einer freien Willensbildung beruht, dann muss diese Entscheidung respektiert werden. Das gilt auch dann, wenn die Fortführung der bestehenden Betreuung für die Betroffene objektiv vorteilhaft wäre. In einem solchen Fall ist trotz der Betreuungsbedürftigkeit die Einrichtung oder Erweiterung der Betreuung ausgeschlossen, entschied der Bundesgerichtshof.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.01.2024, Az. XII ZB 217/23
Das ist passiert
Die fast 40-jährige betroffene Frau leidet am Asperger-Syndrom. Deshalb ist für sie seit dem Jahr 2014 eine rechtliche Betreuung mit dem Aufgabenkreis Vermögenssorge, Vertretung gegenüber Behörden, Versicherungen, Renten- und Sozialversicherungsträgern, Wohnungsangelegenheiten sowie Entgegennahme, Öffnen und Anhalten von Post eingerichtet und ein Einwilligungsvorbehalt für den Bereich der Vermögenssorge angeordnet. Der für sie bestellte Berufsbetreuer ist in dem Verfahren auch Beteiligter.
Der Betreuer hatte im September 2022 die Erweiterung des Aufgabenkreises der Betreuung um den Aufgabenbereich der Gesundheitssorge angeregt. Grund hierfür war die Verweigerung der Frau in einem sozialgerichtlichen Verfahren zur Durchsetzung ihrer Aufnahme in die Familienversicherung, ihre Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden – ihre Mutter riet ihr davon ab. Das sozialgerichtliche Verfahren kam daraufhin zum Stillstand, und das Sozialamt stellte die bisher geleisteten Beitragszahlungen in die Krankenkasse wegen fehlender Mitwirkung der Betroffenen ein.
Das Amtsgericht hat den Aufgabenkreis der eingerichteten Betreuung um den Aufgabenbereich der Gesundheitssorge erweitert und diesen Aufgabenbereich dem bisherigen Betreuer übertragen. Die dagegen von der Mutter der Betroffenen eingelegte Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen wenden sich sowohl Tochter als auch Mutter mit ihren Rechtsbeschwerden. Die Frau wollte in diesem Aufgabenkreis lieber von ihrer Mutter vertreten werden.
Darum geht es
Der Bundesgerichtshof musste entscheiden, ob die Rechtsbeschwerden der Betroffenen und ihrer Mutter erfolgreich sind und die angefochtene Entscheidung des Landgerichts aufgehoben werden muss.
Die Entscheidung
Die Rechtsbeschwerden haben Erfolg. Sie führen zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
Das Landgericht ist zwar zutreffend davon ausgegangen, dass nach § 1814 Abs. 2 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) ein Betreuer gegen den freien Willen eines Volljährigen nicht bestellt werden darf, aber es verkennt den Umfang dieses freien Willens.
Die Tochter hat sich bereits vor dem Amtsgericht damit einverstanden erklärt, dass der Aufgabenkreis um die Gesundheitssorge erweitert wird. Sie hat aber gleichzeitig zu verstehen gegeben, dass sie mit der Betreuung durch den bisherigen gesetzlichen Betreuer unzufrieden ist und daher nicht mit dessen Bestellung für die Gesundheitssorge einverstanden sei. Weiter hat sie mitgeteilt, dass sie ihre gesundheitlichen Angelegenheiten gemeinsam mit ihrer Mutter, der sie eine diesbezügliche Vollmacht erteilt habe, regeln wolle und sich diese für den Fall einer Erweiterung der Betreuung um den Bereich der Gesundheitssorge als Betreuerin wünsche. Sie hat damit die Erweiterung des Aufgabenkreises der Betreuung um den Bereich der Gesundheitssorge an die Bedingung geknüpft, dass ihre Mutter als Betreuerin bestellt wird.
Das Landgericht hat verkannt, dass in einem solchen Fall die Erweiterung der Betreuung mit einer anderen als der gewünschten betreuenden Person dem nach § 1814 Abs. 2 BGB beachtlichen freien Willen des oder der Betroffenen widerspricht. Beruht nämlich die Entscheidung des oder der Betroffenen gegen die Bestellung eines anderen als der von ihm oder ihr gewünschten betreuenden Person auf einer freien Willensbildung, muss diese Entscheidung auch dann respektiert werden, wenn die Fortführung der bestehenden Betreuung für den Betroffenen objektiv vorteilhaft wäre. Dass der Berufsbetreuer objektiv die Betreuung sachgerechter führen kann, muss angesichts des Wunsches der Betroffenen, lieber von ihrer Mutter in der Gesundheitssorge vertreten zu werden, zurückstehen.
Das bedeutet die Entscheidung für die Praxis
In dem Fall, dass der oder die Betroffene also auf eine bestimmte Betreuungsperson besteht, ist trotz Betreuungsbedürftigkeit und fortbestehendem Betreuungsbedarf die Einrichtung oder Erweiterung der Betreuung ausgeschlossen. Der freie Wille bezieht sich also nicht nur auf das „ob“ einer gesetzlichen Betreuung, sondern auch auf das „wie“. In jedem Fall wird aufgrund der Entscheidung deutlich, welcher hohe Stellenwert dem freien Willen beigemessen wird.
Quelle: Bundesgerichtshof, Beschluss vom 10.01.2024, Az. XII ZB 217/23